Monatsarchiv für September 2012

 
 

Ewig leben

Ausgehend von Wittgensteins Satz: “… dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt” (Tractatus logico-philosophicus, 6.4311), versucht Andreas Luckner (Uni Stuttgart) zu sagen, wie er den “Augenblick” versteht.

Was die … zitierten Philosophen mit dem Wort “Augenblick” bezeichnen, ist kein datierbarer Zeitpunkt; sie sagen also nicht: Jetzt im Moment oder irgendwann anders ist die Ewigkeit, aber zum Beispiel vorhin war sie noch nicht. Denn das wäre ein unsinniger Satz. Was aber wird dann mit “Augenblick” bezeichnet?

Es scheint doch so, dass mit diesem Edelwort die Vorstellung eines Moments in der Zeit verbunden ist, der sich gewisserma?en aus der Kette der Zeit mit ihrer Ordnung des “Früher” und “Später” losrei?t. Ein Moment, in dem “auf einmal” alles da ist, worum es jemandem in seinem jeweiligen Handeln und Denken ging – ein Moment des Sieges, ein Moment der Erkenntnis, ein Moment der Gewissheit im Glauben, ein Moment der Erlösung, ein Moment der Macht … “Augenblick” soll offenbar den Moment bezeichnen, in dem wir sozusagen im Nu aus der Zeit und ihrem Fortgang aussteigen, weil sich in ihm vollendet, was gewesen ist, und erfüllt, was … erwartet wurde. Ein Ereignis also, an dem es kein “nicht mehr” und kein “noch nicht” gibt, eine – so gesehen – absolute, aus dem Zeitzusammenhang herausgelöste Präsenz, eine Gegenwart, die alles “Vor” in sich versammelt und kein “Nach” mehr kennt und damit “ewig” ist.
Aus: der blaue reiter, Ausgabe 31